Monschau
Dass er gut schreiben kann wissen wir. Dass er sehr sorgfältig recherchiert, hat er nicht zuletzt in Hürtgenwald bewiesen.
Und jetzt also das: Ein Roman so aktuell wie irgend möglich, eingebettet in die frühen 60er Jahre und in das Eifelstädtchen Monschau. Wie das geht? Schauen Sie selbst.
Ein aus Indien zurückkehrender Monteur eines Lammersdorfer Industrieunternehmens hat kurz vor Weihnachten 1962 den Variolavirus, Erreger der Pocken, in die Eifel eingeschleppt. Seine Tochter, Patientin Nummer eins, wird nach Aachen zu den städtischen Krankenanstalten gebracht, dort aber abgewiesen und dann ins Simmerather Krankenhaus eingeliefert. Schnell ist klar, wenn nicht sofort allgemeine und einschneidende Maßnahmen ergriffen werden, besteht große Gefahr für die Bevölkerung. Ein Düsseldorfer Mediziner, Professor der Dermatologie, orchestriert, unterstützt von seinem aus Kreta stammenden Assistenten, die erforderlichen Maßnahmen, die erhebliche Einschränkungen für die Wirtschaft und das öffentliche Leben mit sich bringen, bis hin zu einer Quarantäne. Aktuell alles sehr bekannt.
Auch der industrielle Ofenbauer, in dessen Leitung gerade ein Generationswechsel stattfindet, ist betroffen. Wir tauchen ein in die Welt eines genialen Ingenieurs und Erfinders, einer Erbin, die aus Respekt das Unternehmen in eine Stiftung überführen und der RWTH übergeben möchte und einer sich entwickelnden Liebesgeschichte, die sich ohne diesen Ausnahmezustand wohl niemals so ergeben hätte.
Ein wunderbar aufgebauter Roman, eine Pandemie geschickt verquickt mit einer Familiengeschichte. Und ein Buch, das vermutlich erst in unseren Zeiten der Pandemie voll verstanden werden kann. So erscheint es den Verantwortlichen z.B. undenkbar, den Karneval einfach abzusagen, nur weil ein Mädchen erkrankt ist, denn „es gibt Grenzen, was man den Leuten zumuten kann“.
Gleichzeitig gewährt Kopetzky einen tiefen Einblick in das politische und gesellschaftliche Leben des Jahres 1962. Erwähnung finden zum Beispiel die Zeitschrift ‚Quick‘, Contergan, Algier, Plastiksprengstoff in Paris, die Hanau Höhensonne und einiges mehr. Alles kommt vor, die große Welt und das beschauliche Monschauer Land, der Jazz mit Miles Davis und die RWTH. Die Nazi Vergangenheit, wirtschaftliche Verflechtungen, das Gute gegen das Böse, die „Querdenker“, das Thema Zwangsarbeit und die Amerikaner, die letztlich wohl in der Bonner Republik das Sagen hatten…
Kopetzkys Verdienst ist es, all die zunächst losen Enden zusammenzutragen und zu einer überaus spannenden und auch berührenden Geschichte zusammenzuführen.
Der auf wahren Begebenheiten aufgebaute Roman ist gut durchkomponiert und so spannend aufgebaut und erzählt, dass es mich wahrlich hineinzog, in diese Geschichte. Zudem ist die Stimmung jener Zeit sehr gut eingefangen.
Der 1971 geborene Autor/Kopetzky hat mich, geboren 1954, mit seiner umfassenden und genauen Beschreibung der 1962er Jahre, sehr in meine frühen Jahre zurückversetzt, Chapeau.
Das schreibt der Verlag:
Im Jahr 1962, als das nukleare Wettrüsten seinen Höhepunkt erreicht, als in Algier und Paris Bomben explodieren, bricht im Wirtschaftswunder-Deutschland der junge Mediziner Nikolaos Spyridakis in die Eifel auf. Es ist eine heikle Mission: Im Kreis Monschau sind die Pocken ausgebrochen, hochansteckend und lebensgefährlich. Mitten im Karneval droht nun Stillstand, Quarantäne. Der Rither-Chef will die Fabrik um jeden Preis offen halten, keine zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist man weltweit gut im Geschäft. Ganz andere Pläne hegt Vera Rither: Die Alleinerbin studiert in Paris, bewundert Simone de Beauvoir und trägt den Geist der Avantgarde nach Monschau. Dort begegnet sie Nikolaos, der als Betriebsarzt durch die tiefverschneite Eifel zur Patientenvisite gefahren wird, vor Ansteckung geschützt durch einen Stahlarbeiteranzug. So unterschiedlich die beiden auch sind, der kretische Arzt, der als Kind die Gräuel der deutschen Besatzung miterlebt hat, und die schwerreiche Vollwaise: Sie entdecken schnell, dass sie mehr verbindet als ihre Liebe zu Miles Davis. Doch die Krankheitsfälle häufen sich, und das Virus nimmt sich, was es kriegen kann.
Steffen Kopetzky erzählt von einer Liebe im Ausnahmezustand und von der jungen, vom rasanten Wirtschaftswachstum geprägten Bundesrepublik – und verwandelt die wahren Begebenheiten eines kaum bekannten Kapitels deutscher Geschichte in packende Literatur.