Schlief ein goldnes Wölkchen
Nach den ersten Zeilen dieses beeindruckenden Romans könnte man denken, man liest die Abenteuergeschichte der Zwillingsbrüder Saschka und Kolka, die 1944 in einem Waisenhaus bei Moskau aufwachsen. Aber schon bald wird deutlich, dass sich ihre Abenteuer um das ständige Bedürfnis nach Stillen ihres Hungers drehen. Als sie mit hunderten anderer Kinder in den Kaukasus transportiert werden, erhoffen sie sich das Paradies mit Brot im Überfluss. Doch der Kaukasus ist 1944 eine schwer umkämpfte Region, da die von den Sowjets vertriebenen Tschetschenen ihren Lebensraum nicht ohne Gegenwehr aufgeben wollen. In diese Gegend werden die Kinder ohne Hab und Gut mit nur wenigen Erziehern umgesiedelt und erkennen zunehmend die bittere Realität: „Vielleicht kam es von der entsetzlichen Vorahnung, dass uns hier am neuen Ort nicht das Glück erwartete. Im Übrigen wussten wir gar nicht, was das ist, Glück. Wir wollten einfach leben.“ Die Konflikte der Erwachsenen sind den Kindern völlig fremd und doch werden sie unweigerlich mit hineingezogen. Durch vereinzelte Perspektivwechsel wird deutlich, dass der Roman autobiographisch geprägt ist und er erhält so eine besondere Eindrücklichkeit.
Der Roman wurde von dem Autor zunächst heimlich geschrieben, später erstmalig zensiert veröffentlicht und in den 80er Jahren Pflichtlektüre in den russischen Schulen, während in den 90er Jahren erneut Kriege in Tschetschenien geführt wurden. Große Hochachtung muss man vor Anatoli Pristawkin haben, der seine Kindheitserfahrungen nicht in Wut und Hass umsetzte, sondern sich für die unterdrückten baltischen Staaten und die Menschenrechte in Russland stark machte.
Der Verlag schreibt:
Ein wiederentdecktes Meisterwerk: berührend und bristant.
Fünfhundert Kinder aus einem Moskauer Waisenhaus werden im Sommer 1944 in den Kaukasus verschickt, unter ihnen Saschka und Kolka. Die elfjährigen Zwillinge hoffen, endlich ihren quälenden Hunger hinter sich zu lassen. Doch bereits ihre Ankunft wird von bedrohlichen Detonationen in den nahe gelegenen Bergen begleitet. Bewaffnete Tschetschenen, die der Zwangsaussiedlung entfliehen konnten, setzen sich erbittert gegen die russischen Eindringlinge zur Wehr – und die Brüder geraten nach Momenten überwältigenden Glücks in größte Gefahr. Anatoli Pristawkin bringt die politischen Realitäten so ungeschönt zur Sprache, dass sein Werk in Russland erst mit Beginn der Perestroika erscheinen durfte.
»Obwohl Pristawkin keine Empathie vorgibt, die kein Opfer für seinen Täter zu empfinden braucht, vermag er dennoch, Verständnis für die Tschetschenen zu wecken, die in Rußland bis heute die Schwarzen geblieben sind. Das ist dann schon die hohe Kunst der Literatur und womöglich noch wichtiger, als den Feind zu lieben: ihn zu verstehen.« Navid Kermani.