Das Phantom des Alexander Wolf
Wunderbar übersetzt von Rosemarie Tietze erzählt Gasdanow eine Geschichte über die Undurchdringlichkeit des Lebens, von Schuld und der Frage nach dem Sinn des Menschenlebens bzw. der Menschheit.
Atemberaubend und eindrucksvoll beginnt der Roman mitten in der Szenerie des Russischen Bürgerkriegs. Ein 16jähriger Soldat, der Ich-Erzähler, erschießt in Notwehr einen rasch auf ihn zugaloppierenden bewaffneten Soldaten. Noch während des Todeskampfes des Verwundeten, sprengt der junge Soldat auf dessen Pferd davon.
Dieses Ereignis, diese Erinnerung lässt ihn nicht mehr los, begleitet ihn tagtäglich. Ein Leben mit der Schuld und dem Gefühl der Absurdität der eigenen Existenz.
Jahre später befindet er sich im Pariser Exil und entdeckt zufällig eine Erzählung, in der haargenau der Vorfall beschrieben steht. Der Autor, ein Alexander Wolf, muss der vermeintliche Getötete sein und er begibt sich auf die Suche nach ihm.
Er lernt eine geheimnisvolle Frau kennen und der Roman schließt mit einem überraschenden Ende.
Die Liebesgeschichte ist meiner Meinung nach eine der großen Liebesutopien der Literatur. Ein Auszug zum Beweis: „Mir konnte nicht verborgen bleiben, worin die Besonderheit meines Verhältnisses zu ihr vor allem bestand, nämlich dass es keinen Augenblick mehr zu geben schien, da ich nicht ein ständiges, heftiges Gefühl empfunden hätte. Wenn es nicht der Wunsch nach ihrer Nähe war, so war es eine ganze Abfolge anderer Gefühle oder Gemütszustände, zu deren Bestimmung ich weder die Wörter zu finden. Jedenfalls verdankte ich ihrer Existenz, dass sich eine Welt auftat, die ich bisher nicht gekannt hatte.“
Ein solch intelligent und präzise, warmherzig und ausdrucksvoll geschriebener Roman ist ein Lesegenuss, der einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.
Der 1947 erschienene Roman zählt zu den Meisterwerken der europäischen Nachkriegsliteratur. Gasdanow wurde 1903 in Sankt Petersburg geboren und starb nach einem bewegten Leben 1971 in München.
Sein Schaffen mit rund neun Romanen und mehreren Erzählungen wird gerne mit den Werken von Camus, Kafka und Joyce verglichen.
Eines der schönsten Leseerlebnisse in diesem Jahrzehnt!
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