Ein Leben
Maupassants Roman „Ein Leben oder Die schlichte Wahrheit“ erschien 1883 und führt uns ein Frauenschicksal des 19. Jahrhunderts vor, das uns von der Seelenqual und der allmählichen Vernichtung der Heldin Jeanne erzählt.
Jeanne ist 17 Jahre alt, als sie 1819 aus dem Kloster ins normannische Elternhaus aufbricht. Jeanne ist voller Lebenskraft, verliert sich in Träumereien und sehnt sich voller Inbrunst die große Liebe herbei. Es dauert auch nicht lange bis sie die Verkörperung dessen in den attraktiven und „netten“ Julien kennenlernt, und ihn nach nur wenigen Begegnungen mit oberflächlichen Gesprächen entschließt zu heiraten. Wir LeserInnen ahnen schnell, dass sich hinter dem vermeintlichen Glück Abgründe auftun. Allein die detailliert beschriebene Hochzeitsnacht prognostiziert eine schwierige Zukunft ihrer Ehe. Die Flitterwochen auf Korsika stellen wohl eine der wenigen heiteren Zeiten der beiden dar, denn anschließend ist die Ehe von Freudlosigkeit, Langeweile und der Demütigung Jeannes geprägt.
Julien entpuppt sich als ein unangenehmer kleingeistiger Charakter, der als Geizhals über Jeannes Vermögen herrscht und sie schamlos mit anderen Frauen betrügt.
Die zunehmende Vereinsamung Jeannes wird von der Geburt ihres Sohnes Paul unterbrochen. In ihrer fanatischen Mutterliebe verzieht sie ihn mit schwerwiegenden Folgen…
Wir LeserInnen folgen den Schicksalsschlägen in Jeannes und ihrer Familie Leben, die sie in einem passiven Ausgeliefertsein über sich ergehen lässt. Die weltfremde Jeanne, die sich in Illusionen verliert, getäuscht wird und sich selbst täuscht, verlangt von uns LeserInnen des 21. Jahrhunderts viel Toleranz und Geduld.
Maupassant (1850-1893) legt uns mit diesem Roman das Leben selbst dar. Nüchtern präsentiert er die Ereignisse in Jeannes Leben mit einer lebensprallen Handlungsführung und lebensnahen Charakterzeichnungen ein von Ungerechtigkeit geprägtes Leben der Frauen aus dem Adel.
Wie uns der Untertitel des Romans mit „Die schlichte Wahrheit“ schon andeutet, rechnet Maupassant mit verschiedenen Milieus ab, indem er uns seine Wahrheit über den Adel, der Kirche preisgibt.
Dies ist auch der Gewinn dieser Lektüre, denn die radikale Schilderung der sozialen Verhältnisse in Verknüpfung mit dem satirischen Unterton Maupassant bringt uns „Ein Leben“ als Medium sozialer Erkenntnis näher und demonstriert wie wenig und doch wie viel sich im Laufe der Jahrhunderte verändert hat.
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